Montag, 16. Januar 2012

Fin Pavimento


Management Summary: Wir sind wieder auf dem Sattel auf der Carretera Austral unterwegs und damit wieder in die Wildnis eingetaucht mit allem was dazu gehört: Holperpiste, Sitzprobleme, Mücken, Stürze, ein Busunfall, ausgebrochenen Vulkanen, Dauerregen und jede Menge unvergesslicher Eindrücke.

C: Zwei Monate sind wir durchgekommen ohne die sonst auf unseren Reisen üblichen Geldbezugsgeschichten, doch nun hat es uns mal wieder erwischt: Als wir ohne unser Gepäck nach Puerto Montt losfahren, um das Mietauto zurückzugeben, kommt Corsin noch in Sinn, dass er besser nicht nur eine Kreditkarte eingesteckt hätte, aber da ja erst der zweite Tag des Monats ist, kann es ja nicht sein dass die sonst üblichen Limitengeschichten bei Automieten auftreten – weit gefehlt – als wir bezahlen wollen, meint der gute Herr, die Karte funktioniere nicht. Ein 15-minütiges Natelgespräch zu CHF 3.- pro Minute – davon 10 Minuten in der Warteschleife – klärt einiges: 1. Die Limiten werden vom 15. bis zum 14. des Monats berechnet - interessant. 2. Die Mietautofirma hat unsere Sicherheit zweimal blockiert, einmal aber wieder storniert, dies gehe aber trotzdem von unserer Limite ab und könne nicht zurückgesetzt werden – aha. 3. Nein, wir können unsere Limite nicht raufschrauben, weil wir dies innerhalb des letzten halben Jahres schon mal getan hätten – oké. 4. Wir hätten vorgängig einen zusätzlichen Betrag an die Kreditkartenfirma überweisen können, dann hätten wir über den verfügen können  - stimmt, hatten wir schon mal. Mit einer Mischrechnung aus Sicherheit einziehen, verfügbarer Limite und unserem letzten Bargeld ging‘s dann doch noch und wir konnten sogar noch ein Busticket für den Bus zurück bezahlen.

Zurück in Puerto Varas wollten wir dann Geld abheben, aber mit allen unseren 5 weiteren Karten in allen 5 Banken in Puerto Varas bekamen wir nix mehr. Warum? Weil die Banken wegen des Wochenendes und Neujahr schon seit drei Tagen geschlossen sind und alle Geldautomaten ausgeschossen waren. Nun gut, auf der Route bei der Wegfahrt tags drauf fanden wir dann doch wieder einen Automaten, der uns mit mehreren Karten genügend Geld für die nächsten drei Wochen geben konnte.



D: Nun geht’s also los auf die Carretera Austral – 1300 Kilometer Richtung Süden und wir steigen gleich mal gäch ein: Guten Mutes haben wir uns für den heutigen Tag rund 120km – bis nach Hornopirén - vorgenommen. Wir sind ja ausgeruht und zu Beginn ist die Strasse asphaltiert… Diese Planung war nicht ganz grundlos: nach Hornopirén hat es nämlich  eine Fähre, die während rund 4 Stunden über einen Meeresarm übersetzt. Nach einem 10km Landstück folgt dann nochmals eine kürzere, bevor es auf dem Landweg weiter geht. Wir hatten uns in Puerto Montt informiert, dass wir für die 10km rund eine Stunde Zeit hätten und dies auch mit dem Rad gut zu bewältigen sei. Mit unserer Planung wäre das dann alles wunderbar aufgegangen, wir hatten sogar eine Reserve eingebaut, da wir in Hornopirén auf die Morgenfähre wollten und es auch noch eine Nachmittagsfähre gibt. So weit so gut. Wir radelten also fröhlich los in Puerto Varas. In der ersten Steigung merkten wir, dass wir zwar erholt sind, aber auch ein bisschen eingerostet. Zwar müssten unsere in den Höhenlagen von Peru und Bolivien fleissig angesammelten roten Blutkörperchen nun Purzelbäume schlagen, noch war aber davon nichts zu spüren. Im ersten Dorf nach Puerto Varas ging Corsin in weiser Voraussicht allfälligen nassen Wetters einen WD40-Spray einkaufen. Daniela wurde unterdessen von einem chilenischen Regionalfernsehmenschen aufgegabelt, der sogleich in Begeisterung verfiel und einen Beitrag von uns machen wollte. Nachdem er seine Kamera gezückt hatte, war klar, dass es sich allerhöchstens um ein Lokalfernsehen handeln konnte…Corsin gab sein erstes Interview in Spanisch, während sich Daniela auf Sí und No beschränkte.

Nach Puerto Montt stürzten sich die Tabános (http://www.chilereisen.at/Chile/Tabano.htm) wieder auf uns (von uns liebevoll „Viecher“ genannt). Es stellte sich heraus, dass das einzige Wirksame dagegen 10km/h und mehr ist, leider in den Steigungen oft nicht möglich. So fuhren wir in den nächsten Tagen oft einhändig (was vor allem dann auf der Schotterpiste zu weiterem Geschicklichkeitstraining führte) und wedelten mit der freien Hand um unseren Kopf herum (oder zupften am T-Shirt, da die Viecher schnell merkten, dass sie auf unseren Rücken (vor allem auf dem des hinten Fahrenden) relativ unbehelligt bleiben). Auch die Pausen wurden zur Herausforderung. Damit entdeckten wir unsere Lieblingspausenplätze: Bushaltestellenhäusschen! Diese bieten diverse Vorteile, die Wichtigste vorweg: man hat nur eine Verteidigungsfront, da es hinten und auf den Seiten eine Wand hat! Die weiteren Vorteile: es hat ein Sitzbänkli und je nach Wetter bietet es Schutz gegen Sonne oder Regen.

C: Nachdem die Strasse in Kurven und mit kleinen Steigungen und Abfahrten der Küste entlang geführt hatte, standen wir plötzlich vor dem ominösen Schild: „Fin Pavimento“. Nein - „fin“ heisst nicht „fein“ wie es der männliche Teil unserer Reisegruppe einstimmig gehofft hat und es will uns nicht auf „feinen Asphalt“ hinweisen. Und nein – die lästigen Viecher die uns um den Kopf schwirren, heissen auch nicht „Pavimento“ wie es der weibliche Teil gerne hätte und das Schild weist auch nicht auf das Ende der Viecherplage hin. Das Schild will uns einfach eines sagen: „Ihr werdet Euch nun über 1000 Kilometer holprige Kiespiste bis nach Villa O’Higgins quälen – schöne nächste drei Wochen wünsche ich Euch“. Tja, so soll es sein – aber wir wissen etwas was das Schild nicht weiss: dazwischen folgen einmal rund 300 zusätzliche Kilometer Asphalt, jajaja, den werden wir geniessen als wären es Ferien…

D: Mit der ruppigen Unterlagen verlor Corsins Hinterreifen zackig an Luft. Zunächst versuchten wir uns mit Aufpumpen bis zu der kurzen Fähre durchzumogeln, nach wenigen Metern war die Luft aber schon wieder draussen. Also doch neuer Schlauch (die Viecher versuchten natürlich fleissig uns beim Schlauchwechseln zu helfen, sodass Danielas Beitrag darin bestand, diese von Corsin fernzuhalten…). Bei der Fähre dann die Feststellung: schon wieder platt! Es stellte sich heraus, dass ein kleiner Draht, den wir sehr wahrscheinlich bereits in San Pedro de Atacama aufgegabelt hatten, der Übeltäter war und nun sogar zwei Schläuche auf dem Gewissen hatte! (C: grosser Anfängerfehler meinerseits: Regel Nummer eins in der Schlauchwechsellehre: kontrolliere wirklich gut, dass nix – wirklich nix - mehr im Pneumantel steckt…)

Der Tag war nun schon etwas Fortgeschrittener und nach der Fähre machten wir auch das erste Mal Bekanntschaft mit dem Wind. Es folgten einige kurze, aber knackige Steigungen (wie es in unserem Lateinamerika Bike Reiseführer jeweils so schön heisst) und wir mussten einsehen, dass wir mit den 120km wohl etwas über das Ziel hinausgeschossen waren. So bogen wir rund 20km vor Hornopirén ab und übernachteten in der „Residenzia Yohanna".

Wir beschlossen, unsere „Reserve“ anzuzapfen und erst die zweite Fähre ab Hornopirén anzusteuern, ansonsten hätten wir arg früh aufstehen müssen und schliesslich sind ja Ferien! Beim Ticketkauf bei der Fähranlegestelle erfahren wir, dass die zweite Fähre nach dem 10km Landstück dazwischen abfährt, wenn das letzte Auto da ist – also keine Chance, diese Strecke mit den Rädern zu absolvieren und die Anschlussfähre zu erwischen. Aha. Wir müssten halt die Morgenfähre nehmen und hätten dann gemütliche Zeit bis die Anschlussfähre zur Nachmittagsfähre loslege. Jaaa, wenn wir das gewusst hätten, hätten wir es sicher so gemacht! Oder dann fahre noch ein Schiff um ein Uhr morgens, das wäre eine Möglichkeit. Theoretisch schon, aber eine Freinacht bzw. um zwei Uhr morgens dann Zelt aufstellen, ist auch nicht grad nach unserem Gusto. Also wählten wir die dritte Möglichkeit: wir fragten bei den wartenden Fahrzeugen rum und konnten eine Transportlösung für uns, das Gepäck und die Räder organisieren. Allerdings hatte dies zur Folge, dass wir das erste Mal seit zwei Monaten von unseren Velos getrennt waren! Diese mussten nämlich mit dem staubigen Innern eines Transportlasters von einer Gruppe Strassenarbeiter vorlieb nehmen, während wir neben dem Picknickkorb von Oswaldo und Marie im komfortablen Pick-Up Platz nehmen durften. Zunächst hätte dann aber die erste Fähre fahren müssen: Laut Fahrplan wäre das um 14.00 Uhr der Fall gewesen, aufladen um 13.30 Uhr. Um 15.00 Uhr bequemte sich die Fähre, die bis dahin ungefähr 100m auf dem Meer draussen gestanden war zum Anlegesteg. Das Erstaunlichste war aber, dass sich a) niemand danach gefragt, geschweige dann beschwert hätte und b) auch keiner etwas sagte, wieso und warum. Tja, man muss wohl froh sein, wenn die Fähre überhaupt irgendwann fährt. Auf der rund vierstündigen Überfahrt waren wir nochmals froh, dass wir die Idee der viertägigen Schiffreise vom Süden zurück nach Puerto Montt schon früher verworfen hatten, Schifffahren finden wir bei aller Schönheit der Landschaft schlicht und einfach relativ langweilig.

Schlussendlich war dann schon neun Uhr abends als wir in Galeto Gonzales, wo die Strasse wieder beginnt, ankamen. Aus Unlust noch unser Zelt aufzustellen, leisteten wir uns eines der hübschen Cabañas. Dessen Terrasse eignete sich hervorragend, um die Räder vom dicken Staub zu befreien, deren Transportwehwehchen zu beheben und unser Znacht – „Riz de Champagne“ mit dem restlichen Champagner von Silvester - zu kochen.

Der nächste Tag führte uns durch den für den Nordteil der Carretera Austral typischen dichten kalten Regenwald. Links und rechts säumte die Schotterpiste dichtes Grün: grosse Farne und vor allem die eindrücklichen Nalcablätter, die einen Umfang von bis zu zwei Meter erreichen, begleiten uns bei schönstem Wetter. Ok, die Viecher waren auch immer noch da, aber ansonsten war’s perfekt. Auch ansonsten bot die Landschaft alles Typische: die Strasse ging hinauf und hinab, wir passierten einen wunderschönen See und in der Ferne sahen wir einen Vulkan, der ein Rauchwölklein ausstiess. Dass dieser auch anders kann, war an einigen Stellen ersichtlich: abgestorbene Bäume und Asche/“Gschütt“-Bodenbedeckung zeugten vom letzten Ausbruch.

C: Auf einer kiesigen Abfahrt passierte dann auch uns was diverse Velofahrer auf ihrem Blog beschrieben hatten: Daniela weicht einem auf die Strasse hängenden Ast aus, ihr Hinterteil (also das von ihrem Velo) beginnt zu schlingern, das Vorderrad rutscht weg und sie macht eine Rolle über ihren Lenker, genauer über ihr Lenkerhörnchen. Sah von hinten prutal (ja, mit „p“ ausgesprochen) aus, Daniela meinte aber vorerst dass nichts passiert sei – nach einem zweiten ähnlichen Sturz beginnen dann ein paar Tage später doch ihre Spare Ribs zu schmerzen. Nebenbei kämpfen wir beide auch mit massiven Sitzproblemen – was bei jedem Velofahrer mal wieder was aber mit Hirschtalg- und anderen Crémes langsam in den Griff zu bekommen ist. Tja, unsere Tour ist halt doch kein „Sunday Morning Pick Nick".

Mitten aus dem Urwald kommend, wird die Carretera in Küstennähe plötzlich breiter und es hat eine Barriere. Die Strasse wurde nach der vom Vulkanausbruch zerstörten Flugplatz von Chaitén kurzerhand zum neuen Flugfeld umgebaut.


  

Chaitén (http://de.wikipedia.org/wiki/Chaiten) ist ein eindrücklicher Ort: Im Jahre 2008 ist ein ruhender Vulkan 10km entfernt ausgebrochen und die damals 5000 Einwohner wurde evakuiert. Einige Tage später floss dann ein Lahar (Erdrutsch mit Schutt und Asche) bis ins Dorf und verstopfte den Fluss. Dieser bahnte sich in den nächsten Wochen ein neues Bett mitten durch den Ort. Heute leben in dem Ort zwar wieder rund 600 Einwohner, der grösste Teil des Ortes sieht aber noch aus wie damals – ein Geisterort mit bis zu 1.5m Asche und Schutt in den Vorgärten und mit Häusern die aussehen als seien sie erst gestern verlassen worden. In vielen der breiten Alleen herrscht eine gespenstische Stille.

In den Reiseführern ist der Ort noch immer beschrieben wie er damals und das Hostal Hexagon, welches wir eigentlich aufsuchen wollte steht nur noch zu einem Teil und wird nun von im rund 400km entfernten Chile Cico wieder neu aufgebaut.




Mit Erstaunen stellten wir bei einem Rundgang im Dorf fest, dass unser Cabana an der Uferpromenade das wir das zweitletzt bewohnte Haus ist und ein Block weiter der neue Fluss mitten durch den Ort fliesst. Die Uferpromenade ist nun rund 300m vom Meerufer entfernt, da der Schutt die ganze Bucht aufgefüllt hatte.

D: Das nächste Teilstück brachte uns rund 20km erholsamen Asphalt, bald soll es noch mehr sein, was für uns bedeutete, dass wir danach mal wieder Baustellen passieren mussten. Die chilenischen stehen dabei den peruanischen in Nichts nach: wir mussten uns durch tiefen Kies abmühen. Ab und zu durften wir immerhin die bereits gewalzte Fahrbahn benutzen. Dafür gab’s ein Wiedersehen mit den Bauarbeitern, die unsere Räder in ihrem Lastwagen auf der Fähre mitgenommen hatten. Auch trafen wir an diesem Tag erstmals richtig viele andere Tourenradler: Es war die wöchentliche Fähre von der Halbinsel Chiloe in Chaitén angekommen – das ist die Alternative zu unserer Route. Darunter gab’s sogar zwei bekannte Gesichter: die zwei Franzosen, die wir in La Paz getroffen hatten, waren dabei. Allerdings fahren sie die Carretera nun getrennt… Ansonsten ging der Tag als heissester Radlertag bis anhin in die Annalen ein, wobei die Luftfeuchtigkeit auch nicht ohne war… Nachdem wir die grösste Brücke der Carretera passiert hatten, sahen wir plötzlich einige Leute mit Gepäck auf der Strasse rumstehen. Beim Näherkommen erkannten wir, dass der Bus, der rund 10 Minuten vorher an uns vorbeigefahren war, 20 Meter weiter unten an der Böschung auf die Seite gekippt lag!

Zum Glück war aber – für uns ein Wunder – niemand verletzt. Trotzdem hat uns der Unfall schon ein bisschen geschockt. In Villa Santa Lucia angekommen – eines der typischen Orte auf der Carretera: ungefähr 500 Einwohner, einfache Gebäude mit Wellblech, ein kleiner Laden, im Reiseführer mit „gesichtslos“ charakterisiert – gab’s zuerst das langersehnte kühle Cola (das Colakontingent der nächsten zwei Jahre haben wir während dieser Reise bereits ausgeschöpft) und danach die Ernüchterung: es gibt keine verfügbare Unterkunft, die wenigen Cabañas und Zimmer sind von den Strassenbauarbeiter belegt. Schliesslich landeten wir im eher ungepflegten Garten hinter dem kleinen Lebenmittelladen, in dem wir unser Zelt aufschlugen. Immerhin konnten wir warm duschen und ein WC benutzen.

C: Danach folgt ein Tag bei dem wir beide etwas unter dem Velokoller litten – vielleicht lag es auch daran, dass wir das erste Mal nicht stahlblauen Himmel hatten und sich ein Wetterwechsel ankündigte?! Oder an der eher eintönigen Strecke dem Tal entlang durch die brandgerodeten Wälder?! Für gute Laune sorgten aber die drei Velofahrergruppen (Engländer und 2 Schweizer) die uns unterwegs begegneten und vor allem das gemütliche neu gebaute Bed & Breakfast in La Junta gleich neben dem „Best Hotel in Town“.

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